Neues Kloster Ichtershausen
Zurück zur Projektliste- Standort
- Ichtershausen, Deutschland
- Jahr
- 2016
- ARGE
- quaas stadtplaner
Die ehemalige Jugendstrafanstalt (JSA) Ichtershausen beanspruchte bis Juli 2014 ein historisch vielschichtiges Ensemble, das eine knapp 900jährige Nutzungsgeschichte spiegelt: gegründet als Zisterzienserkloster, nach der Reformation Amts- und Residenzsitz, seit 1877 Gefängnis. Im Sommer 2014 wurde in Arnstadt ein Neubau für die Jugendstrafanstalt in Betrieb genommen. Seitdem steht ein ca. 3 ha großes, heterogen bebautes und seit über 130 Jahren der Öffentlichkeit weitgehend entzogenes Gelände für neue Nutzungen zur Verfügung.
Konzeptideen wurden diskutiert, Nachnutzungstudien betrieben und Projektideen entwickelt; Akteure waren hier insbesondere das Justizministerium, die Gemeinde Ichtershausen und als erster Vorreiter und potentieller Nutzer das Collegiatsstift St. Peter und Paul.
In Kooperation mit dem Lehrstuhl für Denkmalpflege und Baugeschichte der Bauhaus-Universität-Weimar (BUW) wurde geprüft, inwieweit das Nachnutzungskonzept des Collegiatsstifts vereinbar ist mit dem denkmalgeschützten Bestand und den örtlichen Kontexten. Räumlich fokussiert dieses Konzept eines „Neuen Klosters“ – aufgrund des hier gegebenen Bezuges zur ehemaligen Klosterkirche – auf die nördliche Hälfte des Areals. Die südliche Hälfte um das Neue Schloss und das Hafthaus wurde hinsichtlich seiner verträglichen Umnutzung zum Wohnen untersucht. Zudem wurden an der Fakultät Architektur der Fachhochschule Erfurt Projektuntersuchungen zur Integration einer Schul- und Internatsnutzung im südlichen Areal angestellt. Zusätzlich wurde im Auftrag der Gemeinde Ichtershausen ein Integriertes Energetisches Quartierskonzept erarbeitet.
2015 wurde die Neues Kloster Ichtershausen (NKI) GmbH & Co.KG durch die Stiftung christlicher Collegiate, der Otto Quast GmbH & Co. KG und der Wachsenburg Baugruppe gegründet. In dieser Konstellation stellt sich die Umnutzung und Wiederbelebung des Gebietes unter dem Schwerpunkt des Wohnens heraus. Daraus resultiert die Fragestellung wie die bisherigen drei Teilbereiche - bis dato gegliedert in:
- Teilbereich A_Genossenschaftliches Wohnprojekt (westliches Areal)
- Teilbereich B_Experimentier-, Lern- und Kommunikationsort Neues Schloss (östliches Areal)
Teilbereich C_Collegiatswohnprojekt im Alten Schloss (nördliches Areal)
in sich zu einer räumlich funktionalen Fügung geraten und dabei zu einem Quartier Ichtershausens, gleichermaßen zukunftsfähig wie gewachsen, werden kann - Projekttitel: „Einfach.Gemeinsam.Leben“.
In knapper Entfernung zur ehemaligen Jugendstrafanstalt und ebenso in ostseitiger Lage von Ichtershausen liegt das ehemalige Nadelwerk, einst größter Arbeitgeber des Ortes. Dieses Areal wurde aktuell zum großzügig ausgelegten Bürgerzentrum entwickelt („Neue Mitte“). Neben der Sanierung der denkmalgeschützten Altbausubstanz (für Gemeindeverwaltung, Vereinsräume, Bibliothek) sind hier der Neubau eines Multifunktions-Saales und die Gestaltung eines großen Markt- und Festplatzes in Fertigstellung begriffen. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist der sensible Blick für befruchtende Entwicklungen der ortsmaßstäblich großen Gebiete statt Provokation von Interessenkonflikten bzw. funktionalen Konkurrenzsituationen wichtig.
Diese Situation ist Ausgangspunkt des städtebaulichen Masterplans für ein Aufgreifen und Weiterentwickeln der Ideen.
Der Masterplan bietet die Grundlage der neuen städtebaulichen Ordnung und somit die Basis für planungsrechtliche Aufgaben und konkrete bauliche Lösungen.
In ihm werden bekannte Bausteine wie
Kirche
Dorfstruktur
Altes Schloss / Neues Schloss / Mühle
Konzept des Collegiatswohnens
Übergang zur Landschaft
zusammengefügt sowie neue Bausteine entwickelt wie
Bestand / Abbruch - pro & kontra
Neubau Wohnen, Funktionsergänzungen
Ferner erfolgt die thematische Ordnung und Fügung von Dorf, Kirche, „Collegiatswohnen“ (gemeinsam Wohnen) und weiteren Wohnformen mit Definition von
Schnittmengen
erforderlicher Erschließung (ruhend, fahrend, gehend, potentiell medial)
Querung
Offenheit versus Verschluss
und in dieser Schlussfolgerung der Vorschlag und die Klärung künftiger Parzellierung und Flächenverteilung für
Gemeinde
NKI
Kirche.
Darüber hinaus stellt der Masterplan eine erste Imagegebung des aktuell „blinden Flecks“ des Ortes dar, auf derer ein künftiges Leben als Quartier des Ortes sowie eine wirtschaftliche Entwicklung für Belebung und Vermarktung des Areals vorstellbar werden.
In erster Instanz und ausgehend von den historischen Anlagen und Zeitprägungen sollen mit der vorgeschlagenen Bebauungsstruktur des Masterplans raumstrukurelle Brüche beseitigt werden.
Zu diesem Zweck soll das Areal maximal entsiegelt werden und die ursprünglichen Typologien wie bspw. Schloss und Kloster herausgearbeitet und aus der weitestgehend verbauten Substanz unter Berücksichtigung von Denkmalstatus, Bauzustand und Position herausgeschält werden.
Unmittelbar sollen dabei ursprüngliche Initialgeber der Siedlung (Kirche) als Kennzeichnen hervorgehoben werden und negativ besetzte „Zeitzeugen“ (Mauer, Hafthaus, Turm) thematisch und funktional neu besetzt, interpretiert oder ggf. umgeformt werden.
Neue Bebauungen mit korrespondierenden Nutzungen werden raumschlüssig ergänzt mit der Absicht das Ortsgefüge zu arrondieren, zu öffnen, zu vernetzen und zu wichten, Platz- und Raumfolgen zu schaffen unter Berücksichtigung historischer Wegebeziehungen, Topografie und Typologie, eine Hierarchie der Gebäude durch die historische Typologie in Korrespondenz bzw. Auseinandersetzung zur umgebenden Maßstäblichkeit
zu stärken.
In diesem Verständnis werden differenzierte räumliche Folgen angeboten:
nach der Straße und dem gassenartigen Zugang (Puschkinstraße) öffnet sich ein Platz (neu: „Klosterplatz“) als Bindeglied zum Ort; dem Umfeld der Kirche wird im gleichen Sinn Raum durch den „Kirchplatz“ gewidmet. Der Bereich zwischen Altem und Neuem Schloss wird zum „Schlossplatz“, der jedoch nicht leer und groß auf seine neue Bespielung wartet, sondern mit neuem Grün - bestanden von einem Baumraster - diesen Platz beschirmt und gleichzeitig den ehemaligen Wachturm (der seinen Anschluss an die begrenzenden Mauern verloren hat) integriert und spielerisch ironisiert.
Andere Bereiche werden thematisch gestärkt wie der künftige Klosterhof des Alten Schlosses, der gebildet durch den neuen Südflügel Ruhe und Geborgenheit für zurückgezogenere Wohnformen bieten soll … oder aber der Klostergarten, der in der Funktion eines (Nutz)Gartens Begegnung und Nutzungsbezug zwischen klösterlichem Wohnen nördlichem Park schaffen kann … oder auch dem Schlossgarten, der die Sehnsucht nach dem wohl nie realisierten symmetrischen Gartenmotiv widerspiegelt.
Die neuen Räume mit ihren Formen als Straßen, Wege, Plätze, Gärten und dem urbanen Spiel aus Enge, Weite, Dichte und Rigorosität gewährleisten die Erschließung für die künftige Nutzungen, aber auch Anknüpfungspunkte für den Ort, so dass eine nie dagewesene Durchwegung zwischen Ort und Landschaft für ALLE möglich wird.
Die Raumangebote entsprechen den Nutzungen und im Umkehrschluss sollen die Funktionen den Raum beleben - so bieten Plätze „Kontaktflächen“ für Öffentlichkeit und Übergänge zu differenzierten Gemeinschaftsnutzungen
z.B. Kirchplatz > Kirche, Dorf … Verweilen, Treff der Gemeinschaft
Klosterplatz > Dorf, Neues Kloster, Museum, Klosterladen … neue Öffnung vormaliger Tore/Mauer, Funktionsunterlagerungen
Klostergarten > Dorf, Park, Neues Kloster … „urban gardening“
Schlossplatz > Dorf, Neues/Altes Schloss, Mühle … „Baumsaal“ zwischen Dorf und Landschaft, Begegnung, Aufenthalt „Vorfahrt“ für Bestandsgebäude mit Sonderwohnformen
Schlossgarten > neues/altes Dorf … Zusammenspiel von öffentlicher und privater Grünfläche zugunsten einer Querung/Begegnung zur Landschaft für jedermann
Gemeinschaft und neue thematische Konzentration ordnen sich bezogen auf das typologische Angebot der Wohnformen und stärken diese
z.B. Altes Schloss > wählbare Abgeschirmtheit einer (temporären) Wohngemeinschaft mit Ruhe und Konzentration
Neues Schloss > „Marienburg“ Sonderwohnen ggf. mit therapeutischem oder betreuendem Angebot
Langhaus > klassische Etagenwohnungen in zentraler Lage des Schlossgartens
Umbau Hafthaus oder Ersatzneubau
Reihenhäuser > familiäres Wohnen mit Garten am Klosterplatz
Am Schlossgarten > Mehrfamilienhäuser mit Gärten „Wohnen am Schlossgarten“, besetzen des ehemaligen Mauerverlaufs mit einer „Perlenkette“ von Neubauten, „Torhaus“ als Geste des Südzugangs von der Bahnhofstraße
Themenbezug und Ordnung lassen zudem eine abschnitts- und etappenweise Realisierbarkeit zu und bergen ein hohes Maß an Flexibilität in sich.
Der ruhende Verkehr soll nichtstörend gesammelt in einem Parkdeck Unterbringung finden. Das südwestliche, tiefe Grundstück an direkter Zuwegung bietet sich hierfür an, ggf. mit einer „Energiezentrale“ für das Areal und die Anrainer.
Obwohl das Konzept eine klare Entscheidung zu Abbruch und Erhalt voraussetzt, geht es nicht von Negation und Beseitigung der Historie aus, sondern sucht nachvollziehbare Anknüpfungspunkte, die keinesfalls didaktisch unausweichlich sind, vielmehr einen identitätsstiftenden Charakter und eine Spezifik herausstellen. So kann es gelingen, nicht beliebig zu bebauen und neu zu besetzten, wohl aber genau aus dem Ort und der Historie zu schöpfen.
In diesem Verständnis soll das Gebiet Lockstoff für neue Bewohner UND ein Angebot und Mehrwert für Ichtershausen und seine Bewohner sein.
Das Leitbild der städtebaulichen Entwicklung will so als Synthese von Zeitgenossenschaft und historischem Bewußtsein für die Einmaligkeit des Ortes fungieren.