Lern- und Gedenkort Hotel Silber

Stuttgart, Germany
Architects
Wandel Lorch Götze Wach
Location
Dorotheenstraße 10, Stuttgart, Germany
Year
2018

Das ehemalige „Hotel Silber“ in der Dorotheenstraße in Stuttgart ist ein historischer Ort. Ein Ort des organisierten NS-Terrors und mehr als ein halbes Jahrhundert lang, in mehreren politischen Systemen – ein Ort der Polizei.
Mitte des 19. Jahrhundert als Gasthaus und Hotel erbaut, wird es nach dem 1. Weltkrieg als Verwaltungsgebäude genutzt und ab 1928 zum Sitz des Polizeipräsidiums, in der weiteren Folge schließlich zum Hauptquartier der Geheimen Staatspolizei Gestapo für Württemberg und Hohenzollern. Nach dem Wiederaufbau nach Kriegszerstörung wird es bis weit in die 1980er Jahre zur Unterbringung für Teile der Stuttgarter Polizei genutzt. Dank des großen Einsatzes der bürgerschaftlichen Initiative Lern- und Gedenkort „Hotel Silber“ e.V. werden im Jahr 2011 der Erhalt des Gebäudes und die Errichtung eines Gedenkortes beschlossen. Unter der Bauherrschaft des Landes Baden-Württemberg und dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg, wie auch der Beteiligung der Initiative wird das Haus saniert und die Dauerausstellung eingerichtet.

Das Gebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zum ehemaligen Waisenhaus und dem modernen Dorotheenquartier behauptet sich heute durch seine angemessene Präsenz im Stadtraum. Zur Adressbildung und Sichtbarmachung der neuen Nutzung als Erinnerungsort sind in einige Fensteröffnungen Begriffe, wie „Ausgrenzung“, „Mut“, „Würde“, „Verfolgung“ auf Werksteintafeln eingeschrieben, die erahnen lassen, was sich im Inneren des Gebäudes einst abspielte. Diese Elemente sorgen nach Außen für eine dem Inhalt entsprechende Hermetik und bringen transluzent diffuses Licht in die Ausstellung im Innenraum.
Anstelle des verlorenen Eckturmes verdeutlicht eine abstrahierte Nachbildung des Erkers als bedrucktes Zeichen die neue Nutzung und schwebt über dem wiederhergestellten Haupteingang des einstigen Restaurants. Als Schnittstelle zur Öffentlichkeit gelangt man hier auf direktem Wege in den „Wechselraum“- früher Frühstücksraum und Restaurant des Hotels - der im alltäglichen Betrieb großzügiges Foyer mit Ticketing ist. In seiner zweiten Funktion ist der „Wechselraum“ ein Veranstaltungsort für Vorträge, Podiumsdiskussionen und andere Formate, zwei ergänzende Seminarräume im Erdgeschoss dienen der Wissensvermittlung. Die Servicebereiche liegen im Untergeschoss, wo auch die ehemaligen Verwahrzellen noch zu sehen sind und einen Eindruck der ursprünglichen Enge der Zellenräume geben.

Die Dauerausstellung befindet sich im ersten Obergeschoss des Gebäudes. Hier wird die Geschichte des Hauses in ihren Kontinuitäten und Brüchen verdeutlicht. Unter Beibehaltung der räumlichen Struktur der Zellenbü¬ros, leitet der Rundgang durch die Ausstellung und beschäftigt sich mit dem Selbstverständnis der Polizisten in Demokratie und Diktatur, setzt sich mit Tätern und Opfern auseinander und beleuchtet die Strukturen, die den bürokratisch organisierten Staatsterror ermöglichten.
Das zweite Obergeschoss wurde weitgehend von den Innenwänden befreit, um hier eine große Fläche für Wechselausstellungen zu schaffen.

Im Flur des ersten Obergeschosses steht der Besucher zunächst den Tätern gegenüber, zusammengesetzt wird dieser Eindruck aus Portraitfotos auf leuchtkastenartigen Aufstellern, die die lange Flurzone nur selektiv begehbar machen.

WANDEL LORCH ARCHITEKTEN

Taucht der Besucher in der Folge in die strukturell erhaltenen kleinteiligen Kabinette ein, findet er sich am authentischen Ort wieder und begegnet an Schreibtischvitrinen den Tätern, wie auch den Einzelschicksalen der Opfer.
Hier ist das Mittel des Abschälens historischer Schichten zum maßgeblichen Werkzeug der Sanierung geworden. Wand- und Bodenbeläge wurden entfernt und mit atmosphärisch und der Nutzung angemessenen Materialien belegt. Als Zitat der Büronutzung wurde großflächig ein grauer Linoleumbelag verlegt. Die Wände wurden abgeschält und wenn nötig gespachtelt. An einigen Stellen werden historische Spuren und die heterogene Bausubstanz sichtbar gemacht.

Orientiert wird der Besucher durch ein mattschwarzes Band an der Wand, dass die chronologische Entwicklung der In¬stitution und Staatsmacht Polizei darstellt.
An den Trennwänden zwischen den ehemaligen Zellenbüros wird die Auswirkung des Handelns der Täter beschrieben. In einer zusätzlich übergeordneten Ebene im Flur wird der allgemeine geschichtliche Diskurs in der jeweiligen Zeit verortet.

Ein weiteres Vermittlungselement im Innen- und Aussenraum des Gebäudes sind „Fenster in die Vergangenheit“, welche Einblicke in die Geschichte des Hauses geben – von einem Silberkännchen aus Zeiten des Hotelbetriebs über die Gründung der Deutschen Motorradfahrer-Vereinigung als Vorgänger des heutigen ADAC und die Verhaftung des ehemaligen württembergischen Staatspräsidenten Eugen Bolz 1933 bis zu den Diskussionen um den Erhalt des „Hotel Silber“ als Erinnerungsort in jüngster Zeit.

Umbauten in den 1950er und -80er Jahren veränderten und überformten das Gesicht des Hauses. Die zur Errichtung des Erinnerungsortes notwendigen baulichen Eingriffe blieben im ersten Obergeschoss dennoch relativ gering, da hier die ursprünglich vorhandene Bürostruktur zum Gestaltungsmittel des Ausstellungsrundganges wurde. Die Wechselausstellungsfläche im zweiten Obergeschoss und auch die Wiederherstellung des ehemaligen Frühstücksraumes im Erdgeschoss erforderten jedoch umfangreichere statische Eingriffe.
Die für eine öffentliche und museale Nutzung notwendigen Maßnahmen, wie die brandschutztechnische Ertüchtigung, klima- und haustechnische Neuerungen, Anforderungen an die Barrierefreiheit wurden mit Blick auf den Bestand möglichst zurückhaltend umgesetzt.
Die zurückhaltende und homogene Farbigkeit des Hauses ist Grundlage für eine adäquate inhaltliche Präsentation ohne überzogene Anleihen aus vergangenen Zeiten aufzunehmen.
Absicht der Gestaltung war, eine Balance zu schaffen zwischen der scheinbaren Bleiwüste der Akten und der Monstrosität der Verbrechen, die von diesem Ort ausgingen und dabei letztlich einen atmosphärischen, aber keinen überzogenen Stimmungsraum zu generieren.

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