Wohnhaus Lux Guyer

Zürich, Zwitserland
Photo © August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten
Photo © August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten
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Situationsplan
Drawing © August + Margrith Künzel Landschaftsarchitekten
Landschapsarchitecten
August + Margrith Künzel
Locatie
Zürich, Zwitserland
Jaar
2014
Team
Christ & Gantenbein Architekten

Garten

Der Garten ist eine vom Menschen geordnete Welt. Mit seiner kultivierten Ordnung setzt sich der Garten vom Umland ab und bietet einen Ort der Ruhe, der Konzentration. Dem Beginn der Gartenkultur ging die Entdeckung voraus, dass sich Pflanzen kultivieren lassen. Daraus entsprang der Ackerbau, der im Zusammenspiel mit der Tierhaltung den Menschen die sesshafte Lebensweise ermöglichte. Die Einfriedung spielt seit Beginn der Gartengeschichte eine wesentliche Rolle, schützt sie doch Pflanzen und Tiere vor Eindringlingen. Daher erstaunt es nicht, dass der Begriff Garten etymologisch von Gerte (indogermanisch gher, später ghortos, lateinisch hortus), abgeleitet ist. Gemeint sind Weiden-, Haselnussruten oder andere Gerten, die in den Boden gesteckt, teilweise ineinander verflochten den Garten umfriedeten. Nebst der Einfriedung und den Pflanzen sind Wege, Zugang, Wasserversorgung, der pflanzenpflegende Mensch und bestäubende Insekten prägende Elemente eines Gartens.

Über Jahrhunderte entwickelte sich eine Gartenkultur mit einer Fülle von Facetten und Ausdrucksformen. Die Auswahl der Pflanzen folgte bald nicht mehr dem ursprünglichen Zweck der Selbstversorgung, denn ästhetische Aspekte gewannen an Einfluss. Dies ging mit der Frage nach der standortgerechten Auswahl der Pflanzen einher, deren Pflege und Anpassung. Die Kultivierung der Pflanzenwelt ist eine der wesentlichen Leistungen, die dem Garten zu seiner äußerst reichhaltigen Formensprache verhalf. Das Spektrum an Gartentypen mit ihren individuellen Ausformungen ist so breit wie die Vielfalt der Menschen. Es gibt den Paradiesgarten, den Nutzgarten, den Ziergarten, den Sammlergarten, den Wohngarten, den Architekturgarten, den Botanischen Garten, den Traumgarten, den Japanischen Garten und viele weitere Gartentypen und deren Mischformen. Allen Gärten ist eines gemein: Wie in einem Sediment birgt ein Garten Geschichten, in denen sich ein gesellschaftliches Umfeld und/oder eine persönliche Sichtweise widerspielgelt.

An der Oberen Schiedhalde in Küsnacht wurde 1929 von der jungen Architektin Lux Guyer im ehemaligen Rebberg ein kompaktes Wohnhaus mit Garten erbaut. Es war eines der frühen Einfamilienhäuser in diesem Bereich oberhalb vom ursprünglichen Dorfkern. Haus und Garten wurden dezidiert als Einheit geplant – innen und aussen erzeugten von Anfang an einen Zweiklang. Zwar sind von Lux Guyer keine schriftlichen Dokumente über den Garten an der Oberen Schiedhalde überliefert, doch die sorgfältig konzipierte Einheit ist im überlieferten Situationsplan unverkennbar. Die kleinteilige, reichhaltige Raumabfolge ist Merkmal des Hauses wie auch des Gartens. Mittels Beeten, Hecken, Wegen und dem der Grenze folgenden Lebhag wurde der Garten in einzelne Kammern und Nischen gegliedert. Dabei fällt die präzise Platzierung der Gehölze und Beete auf, womit der Blick durch die Räume eine Fortsetzung im Aussenraum erfährt. Unterstützend wirken dabei die raumhohen Öffnungen, wodurch der Blick frei in den Garten gelangt und umgekehrt die Stimmung des Gartens in das Hausinnere strömt. Mit der orthogonalen Grundstruktur nahm Guyer die formale Sprache des Architekturgartens auf, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Reaktion auf den späten landschaftlichen Garten entstanden war. Elemente wie die in einzelne Trittsteine aufgelösten Wege, die frei wachsenden Gehölze vor dem geschnittenen Lebhag und vor allem die breiten Blumenbeete weisen jedoch bereits auf eine Lockerung des strengen Konzepts in Richtung Wohngarten hin. Diese Gestaltungsrichtung setzte sich in der Schweiz zu Beginn der 1930er-Jahre durch. Tendenziell erhielt der Garten eine vom Gebäude unabhängige Gestalt, in der reizvoll arrangierte Pflanzen den Schwerpunkt bildeten. Haus und Garten an der Oberen Schiedhalde bezeugen die oszillierende Haltung der Architektin zwischen Tradition und Moderne.

Als wir im Zuge der Sanierung des Gebäudes 2012 mit der Instandsetzung des Gartens betraut wurden, begann eine gartendenkmalpflegerische Entdeckungsreise. Glücklicherweise gab es in den rund 80 Jahren, seit der Erstellung und Bewohnung durch Lux Guyer bis zum Erwerb durch die Familie Christ, nur wenige Besitzerwechsel. Bei der vergleichenden Betrachtung des historischen Plans und des vorgefundenen Gartens erfreute uns der Tatbestand, dass nur weniges verschwunden war und kaum substantielle Eingriffe vorgenommen wurden. Das Haus und einige Teile des Gartens befanden sich im Originalzustand. Unser Ziel war, die ursprüngliche räumliche Konzeption des Gartens aufleben zu lassen und behutsam an die neuen Anforderungen der Umgebung anzupassen.
Die grösste Veränderung in den rund 80 Jahren erfolgte in der unmittelbaren Umgebung. Das Grundstück wird seit Beginn von der Schiedhaldenstrasse erschlossen. Im Zuge der intensiven Besiedelung des ehemaligen Rebberges wurde diese Strasse neuangelegt und nachfolgend zu einer stark befahrenen, kantonalen Strasse ausgebaut. Die grosse Herausforderung lag für uns darin, den Garten vor Eindringlingen zu schützen, vor allem vor dem Strassenlärm. Die Situation konnte mit dem Ersatz des einfachen Holzzaunes durch eine Einfriedungsmauer merklich verbessert werden. Allerdings durfte die 2m hohe Mauer nicht zu einer Lärmschutzmauer verkommen, sondern sollte gestalterisch als Teil des Gartens überzeugen. Die Mauer ist aus Beton, die Oberfläche aufgeraut und die Innenseite, in Anlehnung an die bestehenden Spaliere an der Eingangsfassade, mit einem Holzlattengerüst und einer Auswahl von Spalierobstbäumen und Schlingern bepflanzt. Auf diese Weise wurde der Vorgarten, obgleich durch die Erstellung der Mauer verkleinert, mit dem bereits vorhandenen Element der Obstspaliere gestärkt. Weiterhin umgibt der wieder Instand gestellte Hainbuchen-Lebhag allseitig den Garten. Unter Berücksichtigung des ursprünglichen Erscheinungsbildes und der neuen Situation erfolgte eine schonende Transformation der strassenseitigen Einfriedung.

Die raumprägenden Zeitzeugen des ursprünglichen Gartens waren die grosse Linde im Südgarten, die allseitige Einfriedung mit dem Hainbuchen-Lebhag und die Senke im Westgarten. Die ursprünglichen Pflanzungen und Wege waren verändert oder ganz verschwunden. Inspiriert von der Gesamtkonzeption, dem historischen Situationsplan und den vorgefundenen Zeitzeugen im Garten galt es abzuwägen, wieviel rekonstruiert oder neuinterpretiert werden sollte. Die klare räumliche Grundstruktur und die Wegeführung des Gartens waren gut dokumentiert und liessen sich fast originalgetreu rekonstruieren. Wie ursprünglich geschehen, wurde der Garten mit Heckenbändern und Beeten für Schmuckstauden gegliedert, Trittsteinwege verbinden wieder die einzelnen Gartenräume. Hingegen wurde die Bepflanzung des Gartens neuinterpretiert: Zum Beispiel die beiden grosszügigen und ursprünglichen Staudenbeete, die für „Blumen und Gebüsch“ vorgesehen waren. Eines der Beete befindet sich vor dem Wohnzimmer, das andere mittig im Westgarten, welches gekonnt den Niveausprung zum Senkgarten aufnimmt. Eine Mischung aus Sommerblumen, Stauden und niederen Gehölzen schmücken diese Beete.

Das Augenmerk der Pflanzenzusammenstellung lag einerseits auf traditionellen Gartenpflanzen wie zum Beispiel der Hortensie, ein Zierstrauch mit dekorativen Blütendolden. Wobei der Name Hortensie dem lateinischen Wort hortus – gleichbedeutend mit Garten – entspringt. Andererseits sind in den Staudenbeeten Pflanzen mit besonderen Blütenformen wie die blaublütige Dreimastblume oder die Spinnenblume mit ihren langen abstehenden Staubfäden, die an Spinnenbeine erinnern oder Pflanzen mit abwechslungsreichen Blattfarben wie der Himmelsbambus vertreten. Letztere ist ein immergrüner Zierstrauch mit Laubblättern, die im Austrieb rot sind, sich später oberseits frischgrün, unterseits hellgrün verfärben, eine Herbstfärbung von intensiv gelb über orange zu purpur aufweisen und ohne abzufallen, im Frühjahr wieder grün werden. Die Pflanzenmischung drückt die Freude an der Vielfalt der Pflanzenwelt aus.

Ein neues Beet bestehend aus Katzenminze, Lavendel, Schwertlilie, Zistrose und weiteren trockenheitsverträglichen Blütenstauden umgibt das Haus und bildet einen sanften Übergang vom Gebauten zum Gewachsenen. Zusätzlich werden der Vorgarten und der Sitzplatz mit neu gepflanzten Bäumen akzentuiert. In Abweichung zur ursprünglichen linearen Anordnung der Bäume stehen die zwei Zierkirschen, welche dem Sitzplatz Schatten spenden und das Gelbholz, welches den Vorgarten prägt, wie die bestehende Linde als Solitäre im jeweiligen Gartenraum.

Der Garten an der Oberen Schiedhalde ist eine vom Menschen geordnete Welt. Ausgehend von der durch Lux Guyer angelegten Grundstruktur, wurde mit jeder Veränderung des Gartens eine Schicht hinzugefügt, wenige gingen verloren oder veränderten sich; das Geflecht an Bedeutungsebenen erfuhr eine Verdichtung. Mit der Instandsetzung wurde der Garten wieder lesbar.

Margrith Künzel März 2021

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